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Modifiziert aus den Seminarunterlagen der Info in Bremen

Prinzipien der motorischen Entwicklung

Die motorische Entwicklung verläuft nach bestimmten Prinzipien, die für Diagnostik und besonders für den Therapieaufbau wichtige Hinweise geben.

Das Prinzip der reziproken Verflechtung

Die Bewegungsorgane des menschlichen Körpers sind jeweils immer paarweise vorhanden. Dies macht es notwendig, dass im Verlauf der Entwicklung die geordnete Beziehung zwischen jeweils beiden Körperseiten hergestellt werden. Voraussetzung dazu ist ein harmonisches Zusammenspiel der Muskelgruppen der Beuger und der Strecker. Beuge- und Streckmechanismus müssen aufeinander abgestimmt sein. Ein fortlaufender Wechsel in der Dominanz von Beuger und Strecker muss stattfinden, damit eine fließende Bewegung zustande kommt. Dieses Wechselspiel von Beuger und Strecker will geübt werden. Es ermöglicht die symmetrische Bewegung, in der beide Körperseiten gut aufeinander abgestimmt sind.

Das Prinzip der Reihenfolge der motorischen Entwicklungsschritte -> der motorischen Entwicklung läuft in einer bestimmten vorhersagbaren Reihenfolge ab. Sie hängt sowohl vom Reifezustand der Nervenstrukturen, und Muskeln, der Veränderung der Körperproportionen ab, als auch von der Gelegenheit das Koordinieren der verschiedenen Muskelgruppen zu üben.

Die ersten Bewegungen und Reifung

Die ersten Bewegungen des Säuglings sind unkoordiniert, ziellose Reflexbewegungen die überwiegend der subkortikalen Steuerung unterliegen und werden mit dem Einfluss des Kortex zielgerichteter.

Symmetrische Bewegungen werden so möglich. So werden beide Seiten gleichzeitig zum Ergreifen eines Gegenstandes nach dem Greifmuster ausgeführt. Die Nächste Stufe der motorischen Entwicklung ist, dass Bewegungen sinnvoll geplant und situationsgerecht ausgeführt werden können.

Dies erfordert eine exakte Steuerung und Planung durch den Kortex.

Im Laufe der weiteren Entwicklung können viele Bewegungen sinnvoll automatisiert werden (z. B. Radfahren), so dass das Kind nicht mehr über die Bewegung nachdenken muss, sondern sich gleichzeitig die Gedanken freihalten kann und andere Dinge (wie z. B. die Erfordernisse des Verkehrs) verarbeitet.

Individuelle Unterschiede können sich in der Geschwindigkeit der Entwicklung oder auch in der Qualität einer Bewegung ergeben; die einzelnen Schritte der Entwicklung werden jedoch in ihrer vorherbestimmten Reihenfolge durchlaufen.

 

 

Bedingungen der sensomotorischen Entwicklung 

Die sensomotorische Entwicklung des Menschen vom Schwimmen in der gebärmütterlichen Wiege bis zum aufrechten Gang vollzieht sich im beständigen Wechsel und Nebeneinander von ...

 ... Stabilität / Instabilität

Unter Stabilität verstehen wir (hier) emotionale und sensomotorische Sicherheit, welche sich wech­selseitig bedingen. Stabilität erfahren und erlernen wir durch den Umgang mit der Instabilität. Das "Wissen" um die Fähigkeit, Stabilität (wieder) -erlangen zu können, ist Voraussetzung, sich in die Instabilität begeben zu können und damit Neues zu erfahren. Unbekannte oder unerwartete Impulse von außen und aus dem eigenen Körper erzeugen Instabilität. Wiederholte Erfahrungen führen wiederum zur Sicher­heit im emotionalen und motorischen Umgang: Stabilität.

... Aufrichten gegen die Schwerkraft / Gewichtsabgabe an die Unterlage

Die Gewichtsabgabe an die Unterlage schafft Sicherheit. ermöglicht das Finden der motorischen Ruhe und bildet die Orientierungsgrundlage für Bewegungen im Raum. Jede Bewegung erfordert ein Aufrichten gegen die Schwerkraft. Der Mensch erfährt das Gewicht seiner Körperteile. Andere Körperregionen lernen, das Gewicht zu übernehmen. Die Gewichtsabgebende Fläche wird kleiner, die Bewegungsfreiheit größer und umgekehrt.

... Symmetrie            

Symmetrische Positionen erlauben in jeder Lage großflächige Gewichtsabgabe an die Unterlage und damit ein Maximum an Stabilität. Der Mensch erfährt seine Gleichseitigkeit: Voraussetzung zum Finden seiner Mitte, zur Entwicklung einer Orientierung an und in sich selbst. Ungewollte, zufällige nicht-symmetrische Bewegungen stabilisieren die Symmetrie. Erst aus deren Beherrschung  heraus können die Seiten erobert werden. Gezielte seitliche Gewichtsverlagerung und Rotation bilden die Voraussetzung zur Fortbewegung und Aufrichtung.

 ... Haltung / Bewegung

Haltung ist die Fähigkeit, in einer Bewegung innezuhalten. Finden und Bewahren einer Haltung ist ein aktiver Prozess, in dem Stützfunktionen von Armen/Händen und Beinen/Füßen eine wichtige Rolle zukommt. Streckmuster und Beugemuster müssen geübt und sinnvoll eingesetzt werden. Ruhepositionen sind stabile Positionen mit großer Unterstützungsfläche und einem Minimum an Haltearbeit: tn ihnen können wir schlafen oder unsere Aufmerksamkeit voll und ganz den Dingen um uns herum widmen. Die Fähigkeiten, eine Ruheposition einzunehmen und sich gegen die Schwerkraft aufzurichten, sind Voraussetzung zum Erlangen der Haltungskontrolle, die wiederum bildet die Grundlage für Stabilität in höheren Lagen und Mobilität (statisches und dynamisches Gleichgewicht). Freie Bewegung einer Körperregion erfordert Übernahme der Haltungskontrolle durch andere. Dynamik erfordert den fließenden Übergang von Haltung in Bewegung' und umge­kehrt. Mit dem Erwerb der Haltungskontrolle reguliert sich die muskuläre Grundspannung (Tonus). Beides entwickelt sich im Hirnstamm und Kleinhirn in der Integration von vestibulären und propriozeptiven Reizen sowie von Handlungsabsichten und Erwartungshaltung. Der Tonus dient der Sta­bilisierung der Gelenke und bildet die Ausgangsbasis für Bewegung. Ein überhöhter Tonus bedeu­tet Starre und behindert die Bewegung, ein schwacher Tonus bedeutet Instabilität und erschwert Bewegung, eine "gelassene" Haltung bedarf eines geringeren Tonus als eine "gespannte" Erwar­tungshaltung, die eventuell Handlung erfordert.

 .... inneren / äußeren Reizen.

Das Neugeborene kennt kein Innen und Außen. Alles, was es wahrnimmt, erlebt es in sich selbst. Außenimpulse sind immer wieder neu und ungewohnt, sie sollen integriert werden. Die Kommuni­kationsfähigkeit zeigt sich im Innehalten, Hinhorchen, Hinschauen, Hinspüren. Die Integration der inneren Impulse in der Haltungskontrolle legt die Basis der Koordination, des sinnvollen Zusammenspiels zwischen rechter und linker Körperseite, oberer und unterer Körper­hälfte. Zunehmende Bewegungsfreiheit und die Entwicklung der Fernsinne, Augen, Ohren und de­ren Integration mit taktilen, vestibulären und propriozeptiven Informationen vertiefen die Koordina­tion. Hände berühren sich und werden zum Mund geführt, ihr Spiel wird mit den Augen verfolgt, die Füße treten als Fremdes ins Gesichtsfeld und werden als eigene "begriffen". Selbst erzeugte Rei­ze erweisen sich als wiederholbar und verlässlich. Die Entwicklung von Sinnen und Bewegungsfrei­heit ermöglicht die Annahme neuer Herausforderungen: Immer Neues wird entdeckt und kann er­kundet werden. Dabei erfährt der Mensch, dass er verändert: Kommunikationsfähigkeit zeigt sich im Wirken.